Mein yogisches Doppelleben

Von Merle Blankenfeld

Die meisten von uns leben in einer „Bubble“ – also einer Blase, einem Kokon ihres Umfelds: Menschen, die in der Medienbranche arbeiten, denken und sehen viele Dinge vielleicht ganz anders als Bänker. Leute, die auf dem Land wohnen, haben andere Sorgen und Themen in ihrem Leben als Großstädter. Genauso verhält es sich natürlich auch mit uns Yogis: Für uns sind viele Dinge ganz selbstverständlich, die für Menschen, die keinen Zugang zu Spiritualität haben, vollkommen absurd klingen. Dazu gehören tägliches (oder überhaupt?!) Meditieren, Mantra-Chanten oder das Lesen von spiritueller Literatur – inklusive Basiskenntnissen in Sanskrit. Eine zweieinhalbstündige Gong-Meditation ist für mich eine ganz normale Samstagabend-Planung, ein auf mein Dosha abgestimmter Ayurveda-Workshop ein bombastischer Sonntag.

Klar: Yoga ist inzwischen im Mainstream angekommen. Unter den Fashion-Bloggern aus Berlin-Mitte gehört es zum guten Ton, regelmäßig Zeit auf der Yogamatte zu verbringen. Achtsamkeit ist Trendthema – wenn auch auf einem sehr oberflächlichen Niveau und sicher nicht mit der Intention und dem Fokus, die buddhistische Mönche bei einem zehntägigen Vipassana-Retreat haben. Aber dass Meditieren wohl eigentlich eine ganz gute Sache ist, das ist auch den meisten meiner Freunde oder meiner Familie klar. Schlaue Sprüche und Halbwissen gibt es da genug. Aber es selbst mal ausprobieren? Oder sich mit dem philosophisch-religiösen Hintergrund befassen? Doch nicht so einen Spiri-Quatsch! Am besten noch mit Räucherstäbchen und Henna-Tattoos!


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„Die wieder mit ihrem Eso-Krams!“

Damit muss natürlich auch nicht jeder etwas anfangen können. Aber weil ich das tue und viele Menschen in meinem Umfeld nicht, fühlt es sich manchmal so an, als würde ich in zwei Welten leben, schlimmer noch: als müsste ich diese beiden Welten trennen. Meine alte Welt mit meinen Freunden, Arbeitskollegen aus ehemaligen Agentur- und klassischen Medienjobs und meiner Familie – versus meine neue Welt, die Yogawelt. Einige Jahre habe ich sie ganz für mich allein entdeckt und langsam besiedelt. Bis sich auch mein Beruf darin gefunden hat. Inzwischen nimmt Yoga also einen recht großen Teil meines Lebens ein. Und es ist wirklich schön, sich im Job – wo ich schließlich viel meiner Zeit verbringe – nicht verstellen zu müssen oder sich zumindest nicht für seinen Lifestyle rechtfertigen zu müssen. Hier bin ich nicht mehr die Exotin, weil ich kein Fleisch esse, weil Yoga und Meditation fest in meinem Alltag verankert sind und ich mich für „so Eso-Krams“ interessiere.

Natürlich hören auch die meisten Yogis nicht den ganzen Tag Mantra-CDs, üben Shavasana und blättern in der Bhagavad Gita. Und bis zu einem gewissen Grad geht es sicher vielen Menschen so, dass sie ein Hobby, einen Job oder etwas anderes in ihrem Leben haben, das sie nicht mit ihrem gesamten Umfeld teilen können. Nur ist Yoga eben nicht einfach eine exotische Sportart wie Bouldern oder Unterwasser-Rugby, sondern eine komplexe Lebens- und Gesundheitsphilosophie, die einen sehr viel größeren Teil des Lebens einnimmt als die reine Zeit auf der Matte.

Yoga und Meditation haben mich verändert – aber wie sage ich das bloß?

Ich ertappe mich häufig in Gesprächen mit meinen Freunden und meiner Familie dabei, dass ich mich mit bestimmten Dingen und Werten, die sie sagen, einfach nicht mehr identifizieren kann. Obwohl ich dieselben Dinge noch vor ein paar Jahren genauso gesehen hätte. Das kann die Ernährung sein, das Konsumverhalten oder die Sicht auf das Leben und was es lebenswert macht. Ich habe mich in den vergangenen Jahren stark verändert, und das ist für einige Menschen in meinem Leben nicht immer leicht verständlich.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich lebe längst nicht so yogisch wie sicher viele andere Yogis – und wie es eigentlich mein Ziel wäre. An den Samstagabenden, die ich nicht bei Gong-Meditationen verbringe, liege ich auf der Couch und schaue Netflix oder gehe mit Freunden essen. Und ja: trinke auch das eine oder andere Glas Wein. Und auch heute noch freue ich mich gelegentlich über ein schönes neues Kleid, aber eben deutlich seltener (und definitiv aus anderen Produktionsbedingungen im Vergleich zu meinem früheren Shopping-Ich). Jeder soll sein Leben so gestalten, wie es sich für ihn richtig anfühlt – und er soll sich auch vor niemandem rechtfertigen müssen. Es geht mir auch nicht im Geringsten darum, meine Freunde oder meine Familie zu verurteilen, weil sie nicht nach dem von mir ausgewählten Konzept leben. Mir geht es vor allem um die Veränderung in meinem eigenen Denken und der damit einhergehenden Überforderung, diese Veränderung gegenüber den Menschen, die mich schon so lange kennen, richtig zu kommunizieren. Oft habe ich das Gefühl, nicht ehrlich sein zu können. Eben damit sich niemand verurteilt fühlt – und um selbst nicht als abgehobene Spiri-Tante abgetan zu werden.

Der soziale Yoga-Spagat und wie ich ihn lösen möchte

Mit meiner besten Freundin ist das zum Beispiel gar kein Problem. Auch wenn sie wirklich kein spiritueller Mensch ist und all den Themen, die für mich so wichtig geworden sind, nichts abgewinnen kann, können wir ganz offen und ehrlich darüber sprechen. Genauso verhält es sich mit meinem Mann. Aber dieses Level an bedingungslosem Verständnis und Vertrauen erreiche ich nicht mit vielen Menschen. Vor vielen anderen ziehe ich mich einfach noch ein Stück weiter zurück und halte diesen wichtigen Teil von mir verborgen. Ich lasse sie einfach in dem Glauben, dass Yoga für mich ein reines Work-out ist (ironischerweise nehmen die Asanas tatsächlich den geringsten Teil meiner Yogapraxis ein). Es wäre viel schwieriger, einigen meiner Freunde oder meiner Familie zu vermitteln, was Yoga oder verwandte spirituelle Lehren für mich bedeuten und was ich daraus für mich ziehe. Die Blicke einer Freundin, als ich neulich von meinem jüngsten Meditations-Workshop berichtete, sprachen Bände. Da wurde sich kurz geräuspert und ganz langsam noch ein Schluck Latte macchiato genommen. Nicht aus Garstigkeit, sondern einfach, weil sie vermutlich genauso mit der Veränderung überfordert ist wie ich. Also versuche ich es inzwischen oft gar nicht mehr, sondern mache das mit mir selbst aus – oder mit den wenigen Menschen in meinem Leben, mit denen ich diesen Part teile.

Das wiederum finde ich eigentlich sehr schade. Yoga ist etwas so Wunderbares, und ich würde mir wünschen, dass ich einen Weg finde, diesen wichtigen Teil meines Lebens besser mit meinem Umfeld teilen zu können. Das zu lernen soll dann wohl der nächste Schritt auf meinem yogischen Weg sein: ehrlich zu mir und meinen Werten zu stehen, ohne dass mein Gegenüber sich davon angegriffen fühlt. Satya meets Ahimsa quasi.

Merle Blankenfeld
Merle Blankenfeld

Merle verbindet bei ihre Leidenschaft für Yoga mit einem Faible für alles Digitale. Deshalb schreibt sie über die Themen, die ihr am Herzen liegen: Yoga, Spiritualität und Gesundheit. Wenn sie nicht gerade vor einem Bildschirm sitzt, steht sie entweder auf der Yogamatte oder vergräbt ihr Gesicht in einem Buch (okay, manchmal ist es auch ein E-Reader...).

Nicole02.04.2020
Liebe Merle, für mich beginnt momentan auch eine spannende Phase. Ich beginne tief in Yoga einzutauchen und habe im Januar mein 200 YTT in Indien absolviert. Yoga ist wirklich ein Geschenk an die Menschheit und ich finde es so bereichernd diese Gemeinschaft hier auch Online haben zu können.
Jana07.02.2020
Liebe Merle. Danke für diese liebevollen Worte, die ich nich bessser ausdrücken könnte über ein Thema das auch mich sehr bewegt und was auch mir immer wieder begenet. Vielen Dank für deine Offenheit und den Mut dies offen zu kommunizieren. Mir fehlt dieser Mut noch. Mir fällt es auch nicht so leicht komplett die ,, Hüllen,, fallen zu lassen und mein Yogaleben zu leben so wie ich es gerne möchte. Dies geht tatsächlich in meiner Welt auch nur in einen begrenzten Rahmen, also atme ich tief durch und gehe kleine Schritte, habe für alle Beteiligten und gehe meinen Weg, immer weiter. Namaste Jana
K.Heinken28.06.2018
Auch sehr passend und ansprechend finde ich hier in den Kommentaren den Artikel von Petra. Zitat: "Bis ich drauf gekommen bin, es geht immer mehr darum zu mir und meinen Werten zu stehen, meinen Weg zu gehen und auch los zu lassen, was gar nicht mehr passt. Herzlichen Dank für deinen klaren und aufrichtigen Artikel." Danke liebe Petra!!!
K.Heinken28.06.2018
Danke, du liebe!!!! Du sprichst mir aus dem Herzen! Genau das, ist auch gerade Thema bei mir! Danke, für deinen Beitrag und dem Wissen, dass ich nicht alleine damit bin!!!
Petra24.06.2018
Liebe Merle, auch ich kennen diesen Spagat und du sprichst mir mit deinem Artikel aus der Seele. Ich übe zwar nicht jeden Tag Yoga, doch regelmäßig, meditiere und hab ich vor einigen Jahren eine Ausbildung als Lebens- und Sozialberaterin und Energetikerin begonnen, welche meine Sichtweise auf die Dinge und somit auch mein Leben komplett verändert hat. Lange Zeit wusste ich nicht, wie damit umgehen und meinte ich muss das Eine vom Anderen trennen. Bis ich drauf gekommen bin, es geht immer mehr darum zu mir und meinen Werten zu stehen, meinen Weg zu gehen und auch los zu lassen, was gar nicht mehr passt. Herzlichen Dank für deinen klaren und aufrichtigen Artikel.
Marie24.06.2018
Danke für diesen Beitrag, der auch meine Situation gut wiedergibt. Allerdings merke ich auch Verschiebungen, da ich immer mehr mit Yoginis und Artverwandten zu tun habe und immer weniger mit Freunden und Bekannten, mit denen ich kaum noch Interessen teile. Das ist eigentlich nicht traurig, sondern der Lauf der Dinge. Alles verändert sich ständig. Und manchmal initiieren wir mit unserer Lebensweise auch Veränderungen im Freundeskreis.
Ilka23.06.2018
Dieser Artikel spricht mir aus der Seele. Er spiegelt ziemlich genau das wieder, was auch mich beschäftigt. Ich bin in meinem Umfeld leider so ziemlich die Einzige, die sich dem yogischen Weg widmet und das führt oft zu unschönen Situationen, weil ich im besten Fall belächelt und im schlimmsten wirklich verbal angegriffen werde. Ich lasse mich nicht beirren, ich bin richtig auf meinem Weg, aber es ist zugegebenermaßen ein beruhigendes Gefühl, dass es auch anderen so geht. Danke für diesen Beitrag!