
Yoga-Übungen bei Skoliose – worauf kommt es an?
Schätzungen zufolge leiden 2 bis 4 Mio. Menschen in Deutschland an einer Skoliose, einer Anomalie der Wirbelsäule. Als Yogalehrerin werde ich oft gefragt, ob Menschen mit Skoliose Yoga praktizieren können. Meine Antwort ist immer: Ja – aber es gibt einiges zu beachten!
Warum Yoga für Skoliose-Betroffene eine wertvolle Ressource ist, worauf es beim Yoga mit Skoliose ankommt und welche Übungen sich besonders eignen, liest du in diesem Artikel, für den uns Yogalehrerin und Anatomie-Expertin Lilla Wuttich Rede und Antwort gestanden hat.
Was ist eine Skoliose?
Skoliose kommt aus dem Altgriechischen (griech. skolios = krumm) und bedeutet „Bogen“. Wir verdanken diesen Ausdruck dem griechischen Arzt Hippokrates, der damit die laterale (seitliche) Krümmung der Wirbelsäule beschrieb. Dazu kommt eine Drehbewegung, die die Skoliose vorantreibt. Bei einer Skoliose ist deine Wirbelsäule also dreidimensional verformt, zur Seite und auch nach vorne. Mithilfe des Cobb-Winkels misst man noch heute den Grad einer Wirbelsäulenverkrümmung. Ab 10 Grad ist die Diagnose offiziell und ab 50 Grad denken viele Ärzt:innen an Operation.
Die meisten Skoliosen entwickeln sich in der Wachstumsphase, speziell zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr, oft ohne Schmerzen. Mädchen sind viermal häufiger als Jungen betroffen. Es gibt aber auch Skoliosen, die angeboren sind, andere wiederum entstehen durch Erkrankungen oder aufgrund von Verschleiß im Alter. Die Ursachen sind noch nicht genau geklärt, können aber genetisch bedingt sein.
Die häufigste Form ist die rechtskonvexe thorakale Skoliose. Dabei nimmt die Brustwirbelsäule eine seitliche Kurve nach rechts. Der Körper reagiert, um die Balance zu behalten, mit Kurven nach links. Die Rippen auf der rechten Brustseite sind nicht nur nach außen gedrückt, sondern durch die Drehung auch nach hinten. So entsteht ein leichter Rippenbuckel, der beim Vorbeugetest gut zu erkennen ist.
Die Spiraldynamik® hat einen ganz besonderen Blick auf die Skoliose, erklärt Anatomie-Expertin Lilla Wuttich: „In der Spiraldynamik® betrachten wir die skoliotische Haltung der Wirbelsäule als eine Haltung, die beim Gehen rhythmisch pendelnd ganz natürlich in jeder Standbeinphase auftritt. Die Skoliose ist somit eine „eingefrorene” Standbeinphase auf einer Seite. Ein ganz neuer Blick auf die Skoliose, jenseits der Pathologie. Mit diesem Wissen kann jeder Schritt im Alltag zu einer kleinen Therapieeinheit werden.“
Welche Auswirkungen hat eine Skoliose auf den Körper?
Unser Körper ist ein ausgeklügeltes System aus Wirbeln, Bandscheiben, Bändern und Muskeln. Die doppelte S-Kurve unserer Wirbelsäule sorgt für Stabilität, Stoßdämpfung, Beweglichkeit und Balance. Durch eine Skoliose wird die Doppelspirale zur Einfachspirale reduziert. Damit ist das Zentrum des Bewegungsapparates viel anfälliger für Einschränkungen und Verletzungen. Die Beschwerden sind facettenreich, unterscheiden sich aber stark nach Schweregrad:
- Körperliche Veränderungen, z.B. ein schiefes Becken, ungleiche Schultern oder (sichtbare) Krümmung der Wirbelsäule
- Fehlbelastungen im ganzen Körper und damit Schmerzen sowie Muskelverspannungen, insb. im unteren und oberen Rücken, Knien und Hüfte
- Versteifungen in der Wirbelsäule und Bewegungseinschränkungen, insbesondere bei Drehbewegungen
- Verkleinerung des Brust- und Bauchraumes und damit Einschränkung des Lungenvolumens sowie Atembeschwerden
Keine Frage – skoliosebedingte Beschwerden sind kein Zuckerschlecken. Sie kann aber auch eine Chance sein:
„Es ist wertvoll, die Skoliose nicht als Behinderung zu betrachten, sondern als eine Chance, sich intensiv mit dem Körper zu beschäftigen, ihn genau kennenzulernen und das eigene Bewegungspotenzial zu entfalten.“
Lilla Wuttich, Anatomie-Expertin
Atem, Meditation, Asanas: Wie kann Yoga bei Skoliose unterstützen?
Jeder Körper ist aus anatomischer Sicht absolut einzigartig – und damit auch jede Wirbelsäule. Leidest du an Skoliose, ist das kein Grund nicht Yoga zu üben. Ganz im Gegenteil! Denn im Yoga geht es nicht um Perfektion oder darum, eine ideale Form nachzubilden – sondern um Verbindung.
Im Yoga hat unsere Wirbelsäule eine zentrale Bedeutung für unsere physische und psychische Gesundheit. Wir Yogi:nis glauben, dass die Wirbelsäule der Kanal für unsere Lebensenergie ist. Die Gesundheit, die innere und äußere Aufrichtung unserer Wirbelsäule versorgt uns mit feinstofflicher Energie und bildet das Fundament für unsere (spirituelle) Weiterentwicklung.
Mit Körperreisen und Meditationen kannst du über die Kraft deiner Gedanken mehr Weite, Platz und Länge in deiner Wirbelsäule schaffen. Das Fließen der Energie bewirkt ein geistiges Aufrichten und das hat auch immer einen Effekt auf deine Physis. Nichts ist getrennt – Körper und Geist sind eine Einheit.
Durch das sichere und präzise Üben von Asanas kannst du gezielt deine Muskulatur stärken und deine Wirbelsäule stabilisieren. Du kannst Verspannungen entgegenwirken und deine Mobilität erhalten. Schonende Praxis bringt wieder Freude in die Bewegung und in deinen Alltag.
„Es nützt nichts, wenn ich jeden Tag eine Stunde lang Übungen mache oder Asanas praktiziere, wenn ich mich die restlichen 23 Stunden des Tages unkoordiniert und unbewusst bewege. Um langfristige Ergebnisse zu erreichen, ist es notwendig, die Koordination umzuschulen und in den Alltag zu integrieren. Je bewusster wir sind, je mehr Körperwissen wir haben, umso besser gelingt dies. Bewusster werden wir durch Yoga, das notwendige Bewegungswissen liefert die Spiraldynamik®.“
Lilla Wuttich
Auch der Atem spielt für uns Yogis eine entscheidende Rolle im Gesamtsystem Menschen. Wie du atmest, wirkt auf deinen Körper und auf deine Psyche. Die Atmung ist ein hocheffektives Kommunikationsmittel zwischen Körper und Geist – und zwar eines, das wir kontrollieren können. Mit yogischen Atemübungen kannst du lernen, deinen Atem bewusster wahrzunehmen und zu steuern.
Yoga mit Skoliose: Unsere Tipps auf der Matte
Bevor du jetzt ins nächste Yogastudio losläufst, haben wir ein paar Tipps, was du bei der Auswahl des Lehrenden, des Yogastils und bei der Ausführung der Übungen beachten solltest. Expertin Lilla Wuttich: „Bei einer Skoliose handelt es sich um eine Asymmetrie des Körpers. Deshalb sind ausgleichende Übungen, die dieser Asymmetrie entgegenwirken, wichtig. Aber auch die Ausführung der Asanas muss angepasst werden: Beweglichkeit ist für jeden Rücken wichtig, aber jede forcierte Mobilisation kann der skoliotischen Wirbelsäule Schaden zufügen. Übertreibe es nicht mit dem Ehrgeiz beim Ziel beweglicher zu werden. Eine Gefahrenquelle liegt auch darin, dass wir unseren Körper in einer gewohnten Art und Weise wahrnehmen und daraus resultierend in unseren gewohnten Bewegungsmustern bewegen. Dadurch werden die Stellen der Wirbelsäule, die schon sehr beweglich sind, immer hypermobiler und die unbeweglichen Orte bleiben steif. Das können wir durch die anatomisch korrekte Ausführung der Asanas verhindern, weil sie uns aus dem Autopiloten holt und über die Aufspannung des faszialen Systems den Körper entlastet.”
Außerdem solltest du die folgenden Aspekte bedenken:
- Der richtige Yogastil: Yogastile wie Hatha Yoga, bei denen einzelne Haltungen achtsam eingenommen werden, sind grundsätzlich empfehlenswerter als dynamische Stile wie Jivamukti Yoga. Lilla Wuttich gibt aber folgendes zu bedenken: „Es geht weniger um den Yogastil, sondern vielmehr um die Ausführung der Asanas. Dazu gehört für mich die körperlich korrekte Ausrichtung, funktionelle Bewegungsabläufe, aber auch ein ausgewogenes Verhältnis von Kräftigung und Entwicklung der Elastizität des Körpers. Alles andere kann man den eigenen Vorlieben anpassen und erspüren, was guttut.“
- Unsere Empfehlung – Iyengar Yoga: B.K.S. Iyengar übte bis zuletzt täglich selbst Yoga und unterrichtete bis zu seinem 96. Lebensjahr Therapieklassen. Die Asanas werden mit gnadenloser Präzision und unzähligen Hilfsmitteln unterrichtet. Im Iyengar Yoga liegt spezieller Fokus darauf, Schüler:innen mit gesundheitlichen Problemen bei der korrekten Ausführung der Asanas zu unterstützen.
- Yogalehrer:innen mit Erfahrung: Deine Yogalehrerin sollte nicht nur deine Diagnose kennen, sondern dich bei allen Asanas im Auge behalten und ausrichten können. Sie sollte viel Erfahrung mit Einschränkungen mitbringen und in Kleingruppen unterrichten. Hier ist therapeutische Expertise entscheidend, nicht ein perfektes Instagram-Profil.
- Deine individuelle Ausrichtung in jeder Asana: Jeder Mensch richtet sich individuell in einer Yogaklasse aus und findet seine individuelle Form. Aber du darfst ganz besonders darauf achten. Dein Körper gibt der Asana die Form. Die ungleichmäßige Krümmung deiner Wirbelsäule erfordert immer eine besondere Modifikation.
- Slowly, slowly: Yoga ist immer auch eine Achtsamkeitspraxis. Gib deinem Körper Zeit, sich zu öffnen. Wiederholungen machen ihm Freude und gewöhnen ihn an Bewegungen. Vermeide extreme und unkontrollierte Bewegungen.
- Keinen Schmerz aushalten: Schmerzen sind ein Warnsignal und auch im Yoga immer der Impuls, um die Haltung zu verändern oder zu verlassen. Es gibt keinen goldenen Pokal am Ende der Yogastunde.
- Fokus auf deinen Atem: Yoga ohne bewusste Atmung ist wie Tanzen ohne Musik. Unsere Atmung ist die Brücke zwischen Körper und Geist. Atemübungen können Stress reduzieren und deine Lungenkapazität erhöhen. Bewusstes Atmen mobilisiert außerdem deine Wirbelsäule und verändert den physischen und mentalen Raum.
„Yoga kann als ein ganzheitliches Übungssystem viel zur Bewältigung der Herausforderungen bei einer Skoliose beitragen, wenn man einige grundlegende Übungsprinzipien beherzigt. Dafür ist es notwendig, genau zu wissen, wie die eigene Skoliose verläuft und wirklich individuell zu arbeiten. Beispielsweise sind oft einige auf die eigene Skolioseform abgestimmte zusätzliche Übungen, die man in die Yogapraxis einbauen kann, wichtig. Außerdem fördert Yoga die feine Wahrnehmung und das Körpergefühl sowie die Beweglichkeit hilft beim Stressmanagement und unterstützt psychisch-emotional.”
Lilla Wuttich
Yoga für ein besseres Lebensgefühl mit Skoliose
Die konservative Antwort auf eine Skoliose-Diagnose ist auch heute noch: Korsett, Krankengymnastik – bei stark ausgeprägten Fällen eine OP. Das Leben mit Skoliose und die Skoliose-Behandlung kann belastend sein. Schmerzerfahrungen legen sich im Körper ab, wenn die Verformung sichtbar ist, kann das Selbstbild leiden und aufgrund der Schmerzen kommt es oft nicht nur einem Knick in der Beziehung zum eigenen Körper und zum Selbstvertrauen, sondern auch zu verminderter Schlafqualität.
Die gute Nachricht: Mit Yoga steht Betroffenen ein jahrtausendealtes Konzept der Harmonie von Körper und Geist zur Seite.
In seiner ursprünglichsten Form soll Yoga unsere Gedanken zur Ruhe bringen. Yoga verbessert dein Körperbewusstsein. Du erfährst dich in deinem Körper neu, wirst feinfühliger und dankbarer für das, was da ist. Yoga arbeitet mit Akzeptanz und Möglichkeiten. Du wirst dich ganz neu entdecken und ihn auf eine Weise erleben, die dir ein besseres Lebensgefühl ermöglicht. Und das auch ganz ohne Räucherstäbchen und Klangschale.
Yoga bietet dir dafür viele Instrumente, Techniken und Methoden. Die Arbeit in der Stille (auch Meditation genannt), mit deinem Atem, mit Klang und Mantren oder einfach über die Körperbewegung. Für Menschen mit Skoliose ist Yoga kein Wundermittel, aber es verhilft dir zu einer tieferen Verbindung zu dir selbst und kann dir auch helfen, deine Lebensfreude wach zuküssen.
„Ich kann nur ermutigen, die Skoliose als eine Möglichkeit anzunehmen, dich und deinen Körper besser kennenzulernen, an deinem Potential zu arbeiten und nicht nur körperlich, sondern auch als Mensch daran zu wachsen. Mach beständig kleine Schritte und erfreue dich über das kleinste Ergebnis – was klein wirkt, hat oftmals große Auswirkungen!“
Lilla Wuttich
Die besten Yoga-Übungen bei Skoliose
Grundsätzlich sind alle Yoga-Übungen geeignet, die deinen Rücken lang machen. Du solltest also konsequent mit gestrecktem Rücken praktizieren. Und: Nach asymmetrischen Haltungen bringen symmetrische Haltungen den Körper wieder in Balance. Lilla Wuttich: „Ich empfehle Übungen, die neben der Streckung der Kurven auch eine Derotation der Wirbelsäule beinhalten. Der Drehsitz beispielsweise ist dafür perfekt geeignet und beinhaltet das komplette evolutionsgenetische Potenzial unserer Wirbelsäule. Ansonsten sind viele Yoga-Standstellungen sind sehr gut geeignet, weil sie die Arme und Beine in das Gesamt-Körperschema integrieren. Grundsätzlich bevorzuge ich aktive, kraftvolle Asanas, weil dabei die Einbindung des Nervensystems stärker ist und die Effektivität der Übung steigt.“
Im folgenden zeigt dir Yogalehrer und Arzt Dr. Ronald Steiner eine Übungsreihe für Skoliose-Betroffene:
Hier kommen unsere liebsten Yoga-Übungen für Skoliose:
Katze-Kuh-Bewegung (Marjaryasana-Bitilasana)
Ein Klassiker, um deine Wirbelsäule zu umarmen. Katze-Kuh ist nicht wegzudenken aus unserem Repertoire. Eine einfache Übung, die deine Wirbelsäule mobilisiert, Verspannungen löst und deine Flexibilität verbessert.
- Starte im Vierfüßlerstand. Hände unter den Schultern. Knie unter deinem Becken.
- Mit der Einatmung hebe sanft dein Herz und Steißbein. Ziehe aktiv die Schulterblätter zueinander und ziehe deinen Nabel zur Wirbelsäule.
- Mit der Ausatmung runde soft deinen Rücken und ziehe dein Kinn sanft zur Brust.
- Bleibe langsam, sanft und bewusst in Bewegung. Keine Extreme, Eile oder Dramatik.
- Wiederhole die Bewegung, bis ein kleines Freiheitsgefühl in deiner Wirbelsäule entsteht.
Seitstütz-Variation auf Ellbogen (Vasisthasana)
Der Seitstütz ist kraftvoll und stärkt die schwächere Seite. Für den Anfang kannst du das untere Knie angewinkelt am Boden ablegen.
- Du startest im Unterarmstütz mit starker Körpermitte.
- Von hier aus drehst du einen Körper nach links und verlagerst dein Körpergewicht über deinen linken Ellbogen. Deinen linken Fuß drehst du auf die Außenkante – sie sollte fest auf dem Boden liegen.
- Lege deinen rechten Fuß auf den linken. Platziere die rechte Hand auf deiner Hüfte.
- Schiebe deine Hüfte bewusst nach oben. Halte mit langer Wirbelsäule deine Balance.
- Lass deinen Atem fließen und bleibe 3 bis 5 Atemzüge, ohne die Länge aufzugeben.
- Lass dein Becken sinken und spüre in der Rückenlage nach.
Kobra (Bhujangasana)
Überraschung, es ist eine Rückbeuge. Die Kobra streckt und stärkt deine Rückenmuskulatur.
- Starte in Bauchlage. Drücke deine Hände auf Brusthöhe in die Matte, sodass deine Ellenbogen nach hinten oben zeigen.
- Schieb dein Schambein in den Boden und presse den Fußspann aktiv in die Matte.
- Atme ein, rolle deine Schultern zurück und ziehe mit den Händen die Matte auseinander.
- Hebe aus der Kraft der Rückseite deines Oberkörpers den Oberkörper und drücke unterstützend die Hände sanft in den Boden. Als allerletztes hebt dein Kopf.
- Vermeide Extreme, übe mit langsamen Wiederholungen im Atemrhythmus.
- Bleibe für nach der Dynamik für mindestens fünf Atemzüge in der Haltung.
- Lege deine Stirn wieder entspannt auf der Matte ab und spüre nach.
Drehsitz (Ardha Matsyendrasana)
Und so übst du den Drehsitz:
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Setze dich in den Fersensitz und lasse dein Gesäß sanft zur rechten Seite gleiten, sodass du nun seitlich neben deinen Füßen auf dem Boden sitzt und beide Sitzbeinhöcker den Boden berühren.
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Stelle anschließend dein linkes Bein auf und bringe den linken Fuß an die Außenseite deines rechten Knies. Achte darauf, dass die linke Fußsohle gut geerdet ist. Falls einer deiner Sitzhöcker keinen Kontakt zum Boden hat, strecke das rechte Bein nach vorne aus – das sorgt für mehr Stabilität.
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Wenn du eine bequeme und aufrechte Sitzposition gefunden hast, beginne mit der Drehung: Mit der Einatmung umschließe dein linkes Knie mit dem rechten Arm, während du deine linke Hand locker hinter deinem Gesäß auf den Boden setzt. Die hintere Hand dient lediglich als Stütze und sollte kein Gewicht tragen. Halte deine Schultern entspannt und den Oberkörper aufrecht. Mit jeder Einatmung strecke die Wirbelsäule in die Länge – mit jeder Ausatmung vertiefe sanft die Drehung.
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Zum Schluss drehst du auch den Kopf behutsam über die linke Schulter. Verweile einen Moment in der Haltung, bevor du achtsam wieder zur Mitte zurückkommst – und wechsle dann zur anderen Seite.
Interview mit Lilla Wuttich: „Ohne Verlängerung der Wirbelsäule geht gar nichts”
Lilla N. Wuttich lebt in Berlin, ist Yogalehrerin, Physiotherapeutin und Dozentin für Spiraldynamik®. Lilla ist Expertin für angewandte Anatomie. In ihrer Anatomiewerkstatt bietet sie Workshops, Retreats und Ausbildungen für alle Menschen an, die sich für den Körper faszinieren. Was Max Strom für den Atem ist, ist Lilla Wuttich für die Anatomie. Im Gespräch erzählt sie uns, warum Skoliose kein Weltuntergang ist.
Tipp: Im Mai 2025 unterrichtet Lilla Wuttich ein komplettes Wochenende zum Thema „Yoga und Skoliose” für Betroffene und Interessierte!
YogaEasy.de: Liebe Lilla, unsere Wirbelsäule ist das reinste Bewegungswunder. Jetzt mal ehrlich: Hat die Diagnose Skoliose heute noch so weitreichende Konsequenzen, wie man früher glaubte?
Lilla N. Wuttich: Sagen wir mal so: Es gibt Skoliosen, die wirklich sehr schwerwiegend sind. Das sind glücklicherweise aber nur wenige. In der Mehrzahl der Fälle kann man mit Know how und Dranbleiben gut mit ihr auskommen. Wichtig ist, dass die Skoliose möglichst frühzeitig im Kindesalter diagnostiziert und multimodal behandelt wird. Dabei ist ab einer bestimmten Größenordnung der Skoliose auch heute noch das Tragen eines Korsetts alternativlos. Immerhin handelt es sich um eine Formabweichung der Wirbelsäule mit einer Kurve dort, wo sie nicht hingehört. Dies wirkt sich auf den gesamten Körper aus, bis zu den Händen und Füßen und verändert die Biomechanik der Wirbelsäule ungünstig.
Du bist Expertin für Spiraldynamik®. Die Spirale zieht sich wie ein roter Faden durchs Universum, auch durch unser menschliches Bewegungssystem. Für uns Laien, worum geht es bei der Spiraldynamik®?
Als evolutionsgeschichtliche Gebrauchsanweisung für den eigenen Körper macht die Spiraldynamik® gesunde und sinnvolle Bewegungen – von Kopf bis Fuß – verständlich und erlernbar. Sich so zu bewegen, wie die Natur es vorgesehen hat, heißt die eigene Körper- und Bewegungsintelligenz zu kennen und das eigene Potenzial zu entfalten. Die meisten Menschen benötigen dazu entsprechendes Wissen, Wahrnehmungsschulung und gezielte Übungen. Dabei hilft uns die Spiraldynamik®. Sie versteht sich als ein therapeutisch-pädagogisches Bewegungskonzept. Ich kenne kein anderes Bewegungskonzept, das den menschlichen Bewegungsapparat und seine Bewegungskoordination mit so viel Präzision und umfassend beschreibt. Das Wissen aus der Spiraldynamik® ist auf alle Bewegungen anwendbar, egal ob wir Yoga praktizieren, joggen, paddeln, unseren Alltag bestreiten oder etwas ganz anderes machen. Die Prinzipien der Spiraldynamik® anzuwenden bedeutet auch, unsere Bewegungsintelligenz zu wecken und den Körper aus seiner Weisheit heraus heilen zu lassen, denn unser Körper erkennt, ob wir uns anatomisch korrekt bewegen.
Warum ist dieses Prinzip revolutionär für den Alltag und die Yogapraxis bei Skoliose?
Die Prinzipien der Spiraldynamik® leiten sich aus universellen Gesetzmäßigkeiten her, beispielsweise dem Gesetz der Polarität. Das kennen wir auch aus der Yoga-Philosophie als Gegensatzpaare wie Sonne und Mond, stabil und durchlässig. Es entsteht eine Verbindung zwischen dem großen Ganzen und der Anatomie. Anatomie wird spirituell und zeigt unsere Verbindung zum Göttlichen bzw. der Schöpfung auf. Unser Körper, unsere materielle Manifestation ist Teil dessen. Ich verstehe das als eine Aufforderung, uns intensiv mit unserem Körper zu beschäftigen und ihn als ein Geschenk zu betrachten, um in der Auseinandersetzung mit seinen Möglichkeiten und Grenzen spirituell zu wachsen. Nur weil wir einen Körper bewohnen, haben wir die Fähigkeit, bestimmte Erfahrungen zu sammeln und zu lernen.
Die Form und Krümmung einer Skoliose ist individuell. Die häufigste Form der Skoliose ist die throrakal-rechtskonvexe Skoliose, d.h. die Brustwirbelsäule ist nach rechts aufgeschwungen. Auf welche Übungen schwörst du?
Auf jeden Fall auf Übungen, die neben der Streckung der Kurven auch eine Derotation der Wirbelsäule beinhalten. Der Drehsitz beispielsweise ist dafür perfekt geeignet und beinhaltet das komplette evolutionsgenetische Potential unserer Wirbelsäule. Die sitzende Position ist nicht zu komplex und man kann sich gut auf die Ausführung und die Wahrnehmung konzentrieren.
Kann Yoga und Spiraldynamik® bei Skoliose die Freude an Bewegung und am eigenen Körper wiederbeleben oder bleiben Schmerzen bei Übungen ein Teil der Bewegungswelt?
Spiraldynamik® und Yoga sind ein Dream-Team! Ich glaube, das Ziel sollte sein, durch Yoga und Spiraldynamik® den Körper schmerzfrei zu bekommen. Ich unterscheide auch zwischen einem „roten” unguten Schmerz, der dem Körper mehr schadet als nützt und einem „grünen” Schmerz. Dieser ist eher eine Art „Wohlfühl”-Schmerz, der nicht zu einer Überreizung und vor sich hin lummernden Entzündung des Körpers führt.
Hast du noch Empfehlungen oder Alltagstipps für Menschen mit Skoliose?
Ganz grundsätzlich gilt: Weniger ist mehr – das dafür aber richtig. Richtig bedeutet: Das Hauptziel ist die Verlängerung der Wirbelsäule. Zudem gilt es Kraft und Elastizität zu schulen, immer in der Symmetrie zu arbeiten und sich auch im Alltag sehr bewusst zu bewegen, etwa tagsüber immer wieder Ausgleichsbewegungen einzubauen. Und natürlich: Keine forcierte Mobilisation!
Danke, liebe Lilla, für dieses aufschlussreiche Interview und deine Tipps und Ermutigungen für Menschen mit Skoliose!