Mondgruß
Marco Calogero Hassler

Der Mondgruß – aus dem Schatten ins Licht

Von Katharina Middendorf

Der Mondgruß ist fast schon eine Rarität. Noch vor ein paar Jahren hätte ich gemutmaßt, dass es daran liegen könnte, dass unsere Gesellschaft und auch die Yoga-Welt eher der aktiven Kraft ihre Wertschätzung entgegenbringt. Man merkt aber gerade in den letzten Jahren, dass ruhigere Yoga-Stile wie Yin Yoga, die besonders auf den Aspekt der Passivität Wert legen, sehr stark im Kommen sind. Das scheint zu zeigen, dass das Bedürfnis nach Einkehr nicht nur in Bezug auf den Geist – wie etwa in der Meditation –, sondern auch in der Körperlichkeit größer geworden ist.

Was mich vor etwa zehn Jahren so in seinen Bann zog, als ich den Mondgruß in der Stadt Leh in Ladakh, hoch oben im Himalaja, das erste Mal praktiziert habe, war die Kombination aus Passivität und Bewegung. Ich erlebte also Passivität in der Bewegung, und das bedeutete, dass ich mich bewegen durfte, ohne mich zu verausgaben, und dass ich mich entspannen durfte, ohne dabei still sein zu müssen. Darin liegt für mich auch heute noch der Zauber dieser Yoga-Sequenz.

„Praktiziert man den Mondgruß, fühlt es sich an, als würde man sich einmal um sich selbst drehen”, sagte einmal ein Schüler und Yogalehrer, der sich ebenso in den Mondgruß verliebt hat wie ich und heute einer der geschätztesten Lehrer für Yin Yoga in Deutschland ist. „So wie der Mond um die Erde”, ergänzte ich damals. Der Mondgruß ist eine fließende, hingebungsvolle Yoga-Sequenz, die der yogischen Sonne das zurückgibt, was sie schon lange vermisst: ihren kühlen Begleiter.


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Wo der Mondgruß ursprünglich herkommt, weiß ich nicht. Und googelt man die Begriffe „Mondgruß” oder „Chandra Namaskar”, finden sich, je nach Schule und Yoga-Stil, verschiedene Formen dieser Sequenz. Zwar existieren wohl deutlich weniger Varianten als beim Sonnengruß, aber auch hier gibt es nicht den einen Mondgruß. Was aber die Ausprägungen, die ich gesehen habe, gemeinsam haben, ist die Ruhe, die sie vermitteln. Es scheint also einheitlich darum zu gehen, Ida Nadi durch eine fließende Sequenz in die Yoga-Praxis zu integrieren.

Es wird oft gesagt, dass man den Mondgruß abends machen sollte und den Sonnengruß eher am Morgen. Ich selbst sehe das ein wenig bedürfnisorientierter. Es kann gut sein, dass ich morgens, nach einer stressigen, schlaflosen Nacht, eine andere Art von „Wake-up-Call” brauche als den Sonnengruß und mir der Mondgruß hilft, die fliegenden Gedanken der Nacht wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Dann mache ich den Mondgruß auch morgens. Einfach ausprobieren!

Die Mongruß-Sequenz

Stelle dir vor, du hast eine Verabredung. Ihr kennt euch noch nicht lange, aber irgendwie ist da eine ganz tiefe Verbundenheit. Als wärt ihr füreinander bestimmt. Die wenigen Male, die ihr zusammen wart, haben sich von Anfang an angefühlt wie „zu Hause”. Und trotzdem bist du angenehm aufgeregt, so als würde sich ein kühler Schauder auf deine Haut legen. Es kribbelt vielleicht sogar auf der Haut, unter dem Herzen oder in deinem Schoß. Du bist ganz wach und bei dir. Es kann losgehen … und bei mir sieht das so aus: Ich rolle meine Matte aus. Bei uns in der Wohnung ist zu wenig Platz, als dass meine Matte an einem festen Ort liegen bleiben könnte. Aber das macht nichts. Das Ausrollen der Matte gehört für mich bereits mit zur Praxis. Der Tag liegt hinter mir, die Kinder schlafen, mein Liebster sitzt auf dem Sofa und hört Musik. Eine Kerze brennt auf der Fensterbank neben Shiva. Es braucht nicht viel, um sich mit sich selbst oder dem Mond zu treffen. Für dieses wunderbare Date braucht man eigentlich nicht mal eine Matte. Ich mache leise Musik an, nur um sie kurz danach wieder auszumachen. Meine Freude auf die Begegnung mit dem Mond ist heute so präsent, dass ich sie fast hören kann. „Vielleicht später”, denke ich. Und das ist eigentlich auch schon das Letzte, was ich denke. Die Stille um mich herum beginnt.

Anleitung: So übst du den Mondgruß

Der Mondgruß ist eine Abfolge der folgenden Übungen: 

  1. Berghaltung – Tadasana
  2. Prayer Pose
  3. Seitdehnung im Stehen (links und rechts)
  4. Göttinnenhaltung – Utkata Konasana
  5. Dreieck – Trikonasana
  6. Pyramide – Parsvottanasana
  7. tiefer Ausfallschritt – Anjaneyasana
  8. seitlicher tiefer Ausfallschritt – Skandasana (links und rechts)
  9. tiefer Ausfallschritt – Anjaneyasana
  10. Pyramide – Parsvottanasana
  11. Dreieck – Trikonasana
  12. Göttinnenhaltung – Utkata Konasana
  13. Berghaltung – Tadasana

Bilder der einzelnen Haltungen des Mondgrußes

1. Berghaltung – Tadasana

Mondgruß – Position 1: Tadasana

2. Prayer Pose

Mondgruß – Position 2: Prayer Pose

3. Seitdehnung im Stehen (links und rechts)

Mondgruß – Position 3: Seitdehnung linksMondgruß – Position 3: Seitdehnung rechts

4. Göttinnenhaltung – Utkata Konasana

Mondgruß – Position 4: Göttinenhaltung

5. Dreieck – Trikonasana

Mondgruß – Position 5: Dreieck

6. Pyramide – Parsvottanasana

Mondgruß – Position 6: Pyramide

7. tiefer Ausfallschritt – Anjaneyasana

Mondgruß – Position 7: Tiefer Ausfallschritt

8. seitlicher tiefer Ausfallschritt – Skandasana (links und rechts)

Mondgruß – Position 8: Seitlicher Ausfallschritt linksMondgruß – Position 8: Seitlicher Ausfallschritt rechts

9. tiefer Ausfallschritt – Anjaneyasana (wie Position 7, anderes Bein) – drehe dich dafür nach rechts zu anderen Mattenseite

10. Pyramide – Parsvottanasana (wie Position 6, anderes Bein)

11. Dreieck – Trikonasana (wie Position 5, anderes Bein)

12. Göttinnenhaltung – Utkata Konasana (wie Position 4)

13. Berghaltung – Tadasana (wie Position 1)


In diesem Tutorial zeigt Christina Lobe dir, wie du den Mondgruß praktizierst:


 

Mondgruß

 

 

 

Dieser Artikel enthält einen Auszug aus dem Buch „Female Yoga” von Katharina Middendorf (Droemer Knaur).

 

 

Katharina Middendorf
Katharina Middendorf

Katharina Middendorf, die bekannte Yoga-Expertin, ist Diplom-Kommunikationswirtin und Autorin in den Bereichen Yoga, Partnerschaft und Lebenshilfe. 2008 entwickelte sie die Yoga-Methode nivata® und bildet seitdem Yogalehrer*innen aus und fort. Als Heilpraktikerin für Psychotherapie setzt sie mit der von ihr entwickelten Yoga-Therapie ihr Wissen und ihre Erfahrung für den Gesundungsprozess des Menschen ein. In ihrer Arbeit als Paar- und Sexualtherapeutin mit Einzelpersonen und Paaren spielen die Themen Intimität und Selbstbestimmung eine wichtige Rolle. Katharina Middendorf lebt mit ihrem Lebenspartner und ihren vier Kindern in Berlin.