
Matsyasana – der Fisch
Matsyasana, auch bekannt als die Fischhaltung, ist eine Yoga-Übung, bei der du auf dem Rücken liegst, die Hände unter oder neben das Gesäß legst und den Oberkörper so in eine Rückbeuge hebst, dass der Scheitel sanft den Boden berührt. Diese Pose öffnet den Brustkorb, dehnt die Vorderseite des Körpers und stärkt die Rückenmuskulatur. Sie fördert eine tiefe Atmung und kann helfen, Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich zu lösen.
Ihren Namen verdankt die Haltung der hinduistischen Gottheit Vishnu. Starten wir mit einer kurzen Geschichte...
Die Geschichte von Vishnu als Matsya: Der Fisch, der die Welt bewahrte
In der hinduistischen Mythologie nimmt der Gott Vishnu viele Formen an. Sein erster Avatar war die eines Fisches namens Matsya. Doch warum wählte er ausgerechnet diese Gestalt? Die Antwort liegt in einer alten Erzählung über eine gewaltige Flut und den Mut, das Leben zu retten.
Die große Flut und die Rettung der Schöpfung
In den Puranas, einer Sammlung alter hinduistischer Texte, wird von einer alles verschlingenden Flut berichtet, die drohte, die gesamte Welt zu zerstören. Um die Schöpfung zu bewahren, erschien Vishnu als gewaltiger Fisch Matsya und warnte den Weisen Manu – oft auch „Vaivasvata Manu“ genannt – vor der bevorstehenden Katastrophe.
Vishnu forderte Manu auf, ein großes Boot zu bauen und dort alles Wichtige zu bewahren: Menschen, Tiere, Pflanzensamen – eine Geschichte, das an die Arche Noah erinnert. Als die Wasser stiegen und die Erde im Chaos versank, spannte sich Matsya vor das Boot und führte es sicher durch die tobenden Fluten.
Mehr als nur eine Rettung: Die Bewahrung des Wissens
In manchen Überlieferungen wird erzählt, dass Matsya nicht nur Manu und das Leben auf der Erde rettete, sondern auch die heiligen Schriften, die Veden. Entweder bewahrte er sie vor den Wassermassen oder eroberte sie von einem Dämon zurück, der sie gestohlen hatte.
Als die Flut endlich zurückging, kehrte mit ihr die kosmische Ordnung (Dharma) zurück, und das Leben konnte neu erblühen. Matsya hatte seine Aufgabe erfüllt und die Schöpfung konnte fortbestehen.
Was bedeutet diese Geschichte für uns heute?
Wie so viele alte Erzählungen ist auch die Geschichte von Matsya nicht nur eine Legende, sondern hat symbolische Bedeutung. Sie erinnert uns daran, dass Wandel unausweichlich ist, dass Krisen zum Leben gehören – und dass wir mit Mut und Weisheit durch jede stürmische Zeit navigieren können.
„Diese Stellung ist Matsya, der Fisch-Inkarnation von Vishnu gewidmet,
dem Schöpfer und Erhalter des Weltalls und aller Dinge.”
B.K.S. Iyengar in „Licht auf Yoga”, S.124
Anleitung: So führst du Matsyasana, den Fisch aus
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Matsyasana, den Fisch, auszuüben. Wir geben dir daher einige Alternativen:
- Du liegst auf dem Rücken, deine Beine sind ausgestreckt – entweder locker oder aktiv geschlossen mit gepointeten Füßen.
- Platziere deine Hände neben oder unter deinem Gesäß, die Handflächen zeigen nach oben oder unten.
- Drücke die Unterarme in die Matte und hebe den Brustkorb an, ziehe dein Kinn dabei zur Brust. Die Ellbogen bleiben nah beieinander.
- Wölbe nun den oberen Rücken, sodass die Brust weit geöffnet wird.
- Senke den Kopf langsam nach hinten, bis der Scheitel den Boden leicht berührt. Vermeide Druck auf den Nacken. Das Körpergewicht ruht größtenteils auf den Unterarmen. Der größte Teil der Bewegung sollte in deiner Brustwirbelsäule erfolgen. Die Schultern ziehen weg von den Ohren, die Schulterblätter zueinander.
- Du kannst jetzt deinen Mund leicht öffnen, um deinen Kiefer zu entspannen. Atme aber weiter durch die Nase.
- Atme bewußt und tief und fokussiere dich auf die Dehnung im Brustbereich und die Öffnung des Kehlkopf- und Herzchakras.
- Komme in umgekehrter Reihenfolge aus der Übung wieder raus.
In diesem Tutorial führt dich Nicole Bongartz Schritt für Schritt durch die Fisch-Haltung:
Wirkungen von Matsyasana, der Fisch-Haltung
Körperliche Wirkungen
- durch die Dehnung im Halsbereich wird die Schilddrüse stimuliert, was harmonisierend auf deren Funktion wirken kann
- hilft, Verspannungen in Schultern und Nacken zu lösen
- dehnt die Brustmuskulatur und öffnet den Brustraum, was zu einer verbesserten Atmung führt
- stärkt den Rücken, was Haltungsschäden wie einem Rundrücken entgegenwirken kann
- stimuliert sie die Nierenfunktion und kann bei Menstruationsschmerzen entspannend wirken
Geistige Wirkungen
- lädt dich dazu ein, inneren Ballast loszulassen
- schafft durch die Öffnung des Herz- und Brustraums ein Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit
- fördert Offenheit, Freude und das Vertrauen, dich mit deinem wahren Selbst zu verbinden
Energetische Wirkungen
- aktiviert Anahata (Herzchakra) und Vishuddha (Halschakra)
- kann unterstützen, wenn du an Themen wie Kommunikation oder Selbstausdruck arbeiten möchtest – sei es Schüchternheit oder deine Fähigkeit, deine Wahrheit zu sprechen
- hilft durch die Herzöffnung, dich von Anhaftungen zu lösen und von der Angst vor Ablehnung zu befreien
Die häufigsten Fehler beim Fisch
Achte darauf, die Schultern bewusst zu entspannen, anstatt sie hochzuziehen – so bleibt der Bereich locker, der eigentlich entspannen soll. Ziehe die Schultern aktiv von den Ohren weg. Auch dein Kiefer spielt eine Rolle: Halte den Mund nicht verkrampft geschlossen, sondern lasse ihn locker, während du weiterhin durch die Nase atmest. Zusätzlich ist die richtige Gewichtsverteilung entscheidend: Vermeide es, zu viel Druck auf den Kopf zu legen, und strecke die Beine aktiv aus. So führst du den Fisch korrekt und mit Leichtigkeit aus.
Kontraindikationen für Matsyasana
- Auch wenn der Fisch harmonisierend auf eine gesunde Schilddrüse wirkt, sollte diese Asana bei Schilddrüsen-Problemen nur nach ärztlicher Rücksprache geübt werden.
- Bei Problemen im Nackenbereich oder Schwindelgefühlen sollte diese Übung nur sehr sanft geübt werden.
- Bei Bluthochdruck oder einem Bandscheibenvorfall solltest du auf diese Asana verzichten.
Varianten von Matsyasana
Der unterstützte Fisch
Wird häufig im Yin Yoga verwendet. Anstelle deiner Arme positionierst du ein Kissen unter deinem Rücken. Hier kannst du deine Arme neben dem Körper entspannen und dich ganz der Schwerkraft hingeben.
Padma-Matsyasana
Wenn du den Lotussitz beherrschst, kannst du den Fisch mit verschränkten Beinen ausführen.
Matsyasana mit gehobenen Armen und Beinen
Wenn du die nötige Kraft in deiner Rumpf- und Hüftmuskulatur aufbringen kannst, kannst du die Beine und Arme vom Boden lösen und diagonal nach vorne strecken. In dieser Variante hält Johanna die Händ ein Kali-Mudra.
Supta Virasana, der liegende Held
In dieser Variante des Heldensitzes (Virasana) werden die Oberschenkelvorderseiten zusätzlich gedehnt:
- Setze dich in Virasana. Knie zusammen, Füße neben den Hüften, Zehen zeigen nach hinten.
- Lehne dich langsam zurück. Stütze dich auf die Unterarme, dann auf den Rücken.
- Lass die Knie geerdet. Sie sollten hüftbreit bleiben, um Druck auf die Gelenke zu vermeiden.
- Bringe die Arme entspannt nach oben oder lege sie seitlich neben den Körper.
- Halte die Position für 30 Sekunden bis 5 Minuten (Yin Yoga), je nach Wohlbefinden und Erfahrung.
- Löse die Haltung achtsam. Stütze dich mit den Händen ab und setze dich langsam wieder auf.
Purvottanasana, die schiefe Ebene
- Setze dich auf deine Matte, die Beine ausgestreckt in Dandasana (Stockhaltung).
- Platziere die Hände hinter dir auf dem Boden, die Finger zeigen nach vorne.
- Presse die Handflächen fest in den Boden. Aktiviere deine Beine, bringe die Innenkanten der Füße zusammen und ziehe die Zehen leicht an.
- Atme ein und drücke dich über Hände und Füße nach oben. Strecke die Hüften so weit wie möglich zur Decke, sodass dein Körper eine diagonale Linie bildet.
- Ziehe die Schulterblätter zusammen und öffne dein Herz nach oben. Halte den Nacken entspannt oder lass den Kopf sanft nach hinten sinken.
- Halte die Position für 5 bis 10 Atemzüge: Achte darauf, die Spannung in den Beinen und im Gesäß aufrechtzuerhalten. Atme tief und gleichmäßig.
- Senke langsam das Becken wieder ab, während du ausatmest. Setze dich kontrolliert zurück in Dandasana und spüre nach.
Der Fisch – ein Herzöffner mit Geschichte
Matsyasana, die Fischhaltung, weit mehr als nur eine körperliche Übung – sie verbindet Mythologie, Spiritualität und physiologische Vorteile auf einzigartige Weise. Diese Asana öffnet nicht nur den Brustkorb und fördert eine tiefere Atmung, sondern hilft auch dabei, Verspannungen zu lösen und die innere Balance zu stärken. Die Geschichte von Vishnu als Matsya erinnert uns daran, dass Wandel unausweichlich ist und dass wir mit Weisheit und Vertrauen jede Herausforderung meistern können. Ob als klassische Haltung, unterstützte Variante oder kraftvolle Modifikation – der Fisch lädt dich ein, Raum zu schaffen, dich zu entfalten und mit Leichtigkeit durch dein Leben zu fließen.
Probiere es aus und spüre die befreiende Wirkung selbst!
Bildquellen: Xenia Bluhm