Stress in der Weihnachtszeit? So hilft dir die Yoga-Philosophie!
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Stress in der Weihnachtszeit? So hilft dir die Yoga-Philosophie!

Von Emma Newlyn

Die Weihnachtszeit fühlt sich für viele von uns gleichzeitig magisch und überwältigend an. Plötzlich stapeln sich Termine, Erwartungen und To-dos: Geschenke besorgen, Plätzchen backen, Familienbesuche koordinieren, das Jahr abschließen und irgendwo dazwischen sollen wir auch noch fröhlich, entspannt und voller Vorfreude sein. Kein Wunder, dass sich die Wochen vor den Feiertagen eher nach Sprint als nach Besinnlichkeit anfühlen.

Gerade in dieser Zeit kann die Yoga-Philosophie ein kraftvoller Anker sein. Sie erinnert uns daran, langsamer zu werden und bewusster zu handeln, auch wenn draußen alles schneller und lauter wird. Die alten Lehren geben uns Werkzeuge an die Hand, die wir nicht erst auf der Matte entdecken müssen, sondern die uns mitten im Alltagschaos helfen können: Beim Planen, beim Einkaufen und im Umgang mit Erwartungen.


Yogaphilosophie-Fortbildung: Yogasutra von Patanjali


Ein kurzer Überblick über die Yoga-Philosophie

Die frühesten Wurzeln des Yoga finden wir in den sogenannten „Veden“, die etwa zwischen 1500 und 500 v. Chr. entstanden. Die Veden sind eine Sammlung alter Texte, die im Grunde die ursprünglichen Lehren des Yoga enthalten. Damals bestand „Yoga“ vor allem aus rituellen und meditativen Praktiken, die den Menschen helfen sollten, sich durch Opfergaben, Kontemplation und Gesang mit dem Göttlichen zu verbinden.

Im Laufe der Zeit kamen weitere wichtige Texte hinzu. Du den wichtigsten gehören die Bhagavad Gita und die Upanishaden. Sie führen Konzepte wie Karma Yoga (der Weg des selbstlosen Handelns), Bhakti Yoga (der Weg der Hingabe) und Jnana Yoga (der Weg des Wissens) ein. Jede dieser Richtungen stellt einen eigenen Zugang zum Yoga dar.

Zwischen etwa 200 v. Chr. und 500 n. Chr. begegnen wir dann den Yoga Sutras des Patanjali. Dieser Text besteht aus 195 kurzen Aphorismen, sogenannten Sutras. Das Wort Sutra bedeutet „Faden“, und gemeinsam bilden diese Fäden das Gewebe der yogischen Praxis: Von den Yamas und Niyamas über Asana und Pranayama bis hin zu Samadhi, dem Zustand der Erleuchtung. Die Yoga Sutras prägen viele moderne Yogalehren stark. Wenn du eine Yogalehrer:innen-Ausbildung machst, wirst du vermutlich intensiv in diese Philosophie eintauchen.

Die Yamas und Niyamas sind die ersten beiden Stufen von Patanjalis Achtgliedrigem Pfad. Sie beschäftigen sich damit, wie wir im Alltag leben. Sonnen grüßen zu können oder im Baum zu balancieren, ist wunderbar, aber im Grunde zählt, wie wir durchs Leben gehen. Die Yamas und Niyamas können uns bewusst machen, wie wir handeln, wie wir Herausforderungen begegnen und wie wir Situationen wahrnehmen. Und besonders in stressigen Zeiten wie der Vorweihnachtszeit oder an den Feiertagen können sie uns dabei helfen, mehr Ruhe zu finden.


In diesem Video erklärt dir Gabriela Bozic den Achtgliedrigen Yogapfad:


Aparigraha: Nicht-Anhaften und Genügsamkeit

Aparigraha ist eines der fünf Yamas und bedeutet im weitesten Sinne „Nicht-Besitzergreifen“ oder „Nicht-Gier“. Es erinnert uns daran, dankbar für das zu sein, was wir bereits haben, anstatt ständig dem nachzujagen, von dem wir glauben, dass es uns glücklicher machen könnte.

Einer der größten Stressfaktoren in der Weihnachtszeit ist das Gefühl, wir müssten die größten und besten Geschenke kaufen, das edelste Essen servieren oder teure Ausflüge organisieren. In vielen Teilen Europas geben Menschen heute mehr Geld für Geschenke, Deko und Lebensmittel aus als noch vor einigen Jahren. Allein im Vereinigten Königreich entstehen zu Weihnachten rund drei Millionen Tonnen zusätzlicher Abfall, vor allem Geschenkpapier, Lebensmittelreste und Verpackungen. Meist sind wir zu beschäftigt oder abgelenkt und kaufen viel mehr, als wir brauchen. Wir tragen so zum Müllberg bei und bleiben im Kreislauf der Suche nach Glück im Außen gefangen.

Wenn wir also unsere Wunschlisten schreiben oder Vorräte für die Feiertage anlegen, lädt uns Aparigraha ein, uns zu fragen:

  • Brauche ich das wirklich?
  • Macht mich das wirklich glücklich?
  • Wofür kann ich jetzt schon dankbar sein?

Moritz Ulrich in einer Liveklassen-Aufzeichnung über die Kunst, nicht gierig zu sein:


Isvara Pranidhana: Hingabe oder Nicht-Anhaftung

Isvara Pranidhana bedeutet traditionell, sich einer höheren Kraft hinzugeben und anzuerkennen, dass wir zwar Kontrolle über unsere Handlungen haben, aber nicht über deren Ergebnis. Wenn dir die Weihnachtsfeiertage wichtig sind, versuchst du vielleicht, sie für alle zu einem besonderen, unvergesslichen Erlebnis zu machen. Doch je stärker wir daran festhalten, dass alles perfekt sein muss, desto mehr Stress erzeugen wir.

Eine der wichtigsten Lehren aus den Yoga Sutras und der Bhagavad Gita ist die der Nicht-Anhaftung. Beide Texte erinnern uns daran, dass es oft unsere Fixierung auf bestimmte Ergebnisse ist, die uns die meiste Unruhe bereitet, obwohl gerade das Ergebnis der Teil ist, den wir am wenigsten beeinflussen können.

Wir können Tage oder Monate damit verbringen, uns zu sorgen, ob das Weihnachtsfest perfekt wird, ob alle zufrieden sein werden, ob das teure Geschenk die richtige Entscheidung war. Doch letztlich liegt das Ergebnis nicht vollständig in unserer Hand.

In Kapitel 2, Vers 47 der Bhagavad Gita heißt es:

„Du hast das Recht auf deine Handlung,
aber nicht auf die Früchte dieser Handlung.
Halte dich nicht für die Ursache des Ergebnisses
und hänge nicht der Untätigkeit an.“

Wenn wir die Idee loslassen, dass ein Fest „perfekt“ sein muss, entsteht viel mehr Raum für das, was gerade wirklich da ist. Statt im „Was wäre wenn…?“ zu leben, können wir im „Hier und jetzt“ ankommen. Genau dort spielt sich unser Leben tatsächlich ab. Wir können das Ergebnis nicht vollständig kontrollieren, aber wir können unser Bestes geben. Diese Erkenntnis kann das Gewicht auf unseren Schultern deutlich erleichtern.

Tapas: Disziplin

Das Wort „Disziplin“ klingt vielleicht nicht nach Weihnachtsstimmung, aber lass dich nicht täuschen. Tapas bedeutet nicht Strenge, sondern vielmehr hingebungsvolle, beständige Praxis. Und genau diese Beständigkeit kann uns helfen, mit weniger Stress durch die Feiertage zu kommen.

Oft lassen wir in dieser Zeit unsere gewohnten Routinen los: Wir verpassen Yogastunden, vergessen unsere Meditation oder ernähren uns weniger bewusst. All das ist völlig normal. Ein entspannter Umgang gehört zur Balance des Lebens. Gleichzeitig ist es hilfreich, zumindest kleine Elemente unserer Routine zu bewahren, die uns zentriert halten.

Tapas erinnert uns daran, das Essenzielle nicht zu verlieren:

  • Vielleicht sind es 10 Minuten Bewegung am Morgen.
  • Oder 5 Minuten ruhige Atmung vor dem Schlafengehen.
  • Oder kleine achtsame Momente über den Tag verteilt.

Es geht nicht darum, perfekte Disziplin zu haben, sondern darum, das zu bewahren, was uns guttut.

Satya: Ehrlichkeit

Wie oft hast du schon „Ja“ gesagt, obwohl eigentlich ein klares „Nein“ in dir war? Oder dich bereit erklärt, das Weihnachtsessen auszurichten – obwohl du genau weißt, dass dich das stresst? Und wie oft hast du dir selbst eingeredet, dass „alles gut“ ist, obwohl dein Körper eigentlich schon auf Alarm steht?

Diese Situationen sind typisch für die Feiertage. Und sie entstehen, wenn wir nicht ehrlich mit uns selbst oder mit anderen sind. Satya bedeutet Wahrheit oder Wahrhaftigkeit und ist eines der zentralen Yamas, denn auf ihr bauen alle weiteren Prinzipien auf.

Wenn wir aus Erwartungen heraus handeln, übernehmen wir oft Aufgaben, die uns erschöpfen. Ehrlich zu sein bedeutet, unsere Grenzen anzuerkennen:

  • Was kann ich wirklich leisten?
  • Was möchte ich eigentlich nicht übernehmen?
  • Wo sage ich Ja, obwohl ich Nein meine?

Und genauso wichtig: Ehrlichkeit mit anderen. Denn unausgesprochene Bedürfnisse führen oft zu stillem Groll, besonders in intensiven Zeiten wie den Weihnachtstagen.

Santosha: Zufriedenheit

In der Weihnachtszeit vergleichen wir uns oft mit früheren Festen oder mit den scheinbar perfekten Feiertagen anderer. Wir versuchen, alles „noch besser“ zu machen: Mehr Geschenke, aufwendigeres Essen, ein perfekterer Ablauf. Doch das erzeugt häufig mehr Stress als Freude.

Die Yoga Sutras lehren, dass Santosha einer der wertvollsten inneren Zustände ist. Santosha bedeutet Zufriedenheit und ermutigt uns, aufzuhören, dem „Ich bin glücklich, wenn…“ nachzujagen, und stattdessen den Blick auf das zu richten, was jetzt schon gut ist.

Ein großer Teil unseres Leidens entsteht laut der Yoga-Philosophie durch das konstante Streben nach mehr. Santosha lädt uns ein, zu betrachten:

  • Was habe ich bereits?
  • Was macht mein Leben jetzt schön?
  • Wie kann ich Dankbarkeit kultivieren?

Genau wie Aparigraha wächst Santosha, wenn wir anfangen, das zu schätzen, was wir sind, was wir haben und wo wir stehen.

Wie wirst du die Yoga-Philosophie in dieser Saison anwenden?

Während die Feiertage näher rücken, können uns die Lehren des Yoga helfen, uns selbst gegenüber sanft und liebevoll zu bleiben. Vielleicht bedeutet das:

  • weniger Perfektionismus,
  • mehr Dankbarkeit,
  • kleine Momente der Achtsamkeit,
  • oder das mutige, klare Nein zu Dingen, die dir nicht guttun.

Wie auch immer du die Feiertage gestaltest: Mögen dir diese Prinzipien helfen, mehr Frieden, Liebe und Präsenz in dieser besonderen Zeit zu finden.

Bildquelle: Sixteen Miles Out auf Unsplash

Emma Newlyn
Emma Newlyn

Emma ist zertifizierte Yogalehrerin, Autorin und ganzheitliche Therapeutin und lebt in Sussex in England. Ihr Herz gehört der Yoga-Philosophie und dem Ayurveda – sie liebt es, diese alten Methoden durch ihre lebensnahen Bücher und Kurse in die moderne Welt zu bringen. Emma bietet Live- und Online-Kurse zu den Themen Yoga, Ayurveda und Ganzheitliche Gesundheit an, die den Teilnehmer:innenn Werkzeuge und Techniken vermitteln, um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden in die eigene Hand zu nehmen. Mehr Informationen zu Emma findest du unter emmanewlynyoga.com (Foto: YogaMatters)