Patricia Thielemann
Bild: Patricia Thielemann

Patricia Thielemann ist eine Kriegerin

Von Kristin Rübesamen

Patricia Thielemann ist eine der bekanntesten Yogalehrerinnen Europas,  erfolgreiche Unternehmerin, Mutter und Autorin mehrerer Yogabücher. Wir kennen uns seit vielen Jahren und ich mag sie nicht wegen ihres Erfolgs, sondern weil ich mir vorstellen kann, dass sie auch ohne Erfolg ein starker und origineller Charakter wäre.

Man kann sagen, dass sie ohne Not in einer Situation ist, die sich niemand wünscht. Zur Erinnerung: Die Yogalehrerin berichtete im ZEIT-Magazin, wie sie 1991 als junge Schauspielerin von Regisseur Dieter Wedel in einem Hotel in Bremen übel attackiert wurde, und wie dieser Überfall mit dafür verantwortlich, „aus dieser kranken Branche“ auszusteigen.

Vor Millionenpublikum von einer unguten, intimen Erfahrung zu berichten, hat notgedrungen immer etwas von einer Beichte und entsprechend skrupellos reagieren die Hetzer in den Sozialen Medien auf das vermeintliche Geständnis. Sie wittern die Schutzlosigkeit derjenigen, die etwas offenlegt, und hauen genau auf diese offene Stelle ein. Sie mache sich nur wichtig, wird ihr noch als freundlicher Vorwurf vorgehalten.

Wie reagiert Patricia Thielemann unter Beschuss? Sie hält sich aufrechter denn je. Aus dem Herabschauenden Hund in den Handstand springen und von dort in Zeitlupe zurück in eine Krähe, das ist es, was sie gerade abliefert, und als Freundin merke ich, dass ich den Atem anhalte, weil ich nicht will, dass ihr etwas passiert, dass ihr noch einmal etwas passiert.

Wer sie letzte Woche im ZDF in der Talkshow von Maybrit Illner gesehen hat, sah eine Frau, die äußerst konzentriert und ruhig sprach und sich jeder Emotionalisierung verweigerte. Im Unterschied übrigens zu den anderen Teilnehmerinnen, die ohne ihre Feindseligkeiten untereinander ihrem jeweiligen Anliegen besser gedient hätten. Patricia Thielemann, die jeden Grund gehabt hätte, um emotional zu werden, behielt die Kontrolle und blieb ruhig. Das ist beachtlich, denn wenn man so will, hat sie mit der Veröffentlichung ihrer lange zurückzuliegenden Erfahrung ein zweites Mal riskiert, Opfer eines Systems zu werden. Das erste Mal wurde sie Opfer des Machtsystems Film, als welches das Filmgeschäft gerade überall auf der Welt wenn nicht entschlüsselt, so doch wenigstens benannt wird. Und das zweite Mal wird sie Opfer von Häme, Schadenfreude und Neid in den Sozialen Medien.

Im Yoga versuchen wir, uns nicht in die Tasche zu lügen. Wir suchen nach Verbindung, von Körper und Geist, aber auch von Menschen untereinander, in der Hoffnung darauf, eine Einheit zu bilden, in der die Starken die Schwachen stützen. Denn die Zahl der Schwachen nimmt zu und das Talent der Starken, wegzuschauen, ebenfalls.

Vor diesem Hintergrund hat sich eine seltsame Dynamik entwickelt. Unsere Gesellschaft ist geradezu scharf auf Opfer. Sofern sich Opfer als Opfer verhalten, ist ihnen unser Mitleid sicher. Der Voyeurismus, den die Opfer, sofern sie sich zu erkennen geben, erdulden müssen, verstellt den Blick auf die Täter und das zugrunde liegende System.

Patricia Thielemann inszeniert sich nicht als Opfer. Sie verweigert sich der Inszenierung. Das muss Kraft kosten, nein, es kostet verdammt viel Kraft, und ich bilde mir ein, das zu spüren. Aber ich spüre auch, dass es ihr gelingt, den Kopf über Wasser zu halten, Kurs zu halten, das Ruder nicht aus der Hand zu geben.

Patricia Thielemann ist im Kontext dieses Skandals eine Lichtgestalt. Ihre Ehrlichkeit ist radikal. Im ZEIT-Magazin kann man es nachlesen: „Sie geht hart mit sich ins Gericht. „Warum habe ich mich hübsch gemacht und bin mit ihm in die Suite gegangen? Zu einem, der als Schürzenjäger bekannt war?“...Weil ich so dringend mitspielen wollte“.

Dass sie dieses Spiel von Ruhm und Scheinwerferlicht und Tratsch schon lange nicht mehr mitspielt, und jetzt, obwohl sie Dieter Wedel in ihrem Leben keine große Bedeutung beimisst, doch noch einmal mitspielt, hat einen einfachen Grund. Sie möchte die anderen Frauen stärken. Sie tut das, was sie als Yogalehrerin seit Jahrzehnten in ihren Studios, auf ihren Retreats und in ihren Ausbildungen und auch, in der Zusammenarbeit mit YogaEasy für euch, ihre Schüler, macht: Sie macht die anderen stark. 

Die Stärke, die sie vermittelt, hat eine besondere Qualität. Es ist keine polternde, selbstgerechte Stärke. „Ich will keine Vergeltung“, sagt sie. Nein, sie will Klarheit. Das, bitteschön, finden wir nicht nur persönlich eine herausragende Leistung. Es zeigt auch, was Yoga leisten kann. Sich zurücknehmen und in den Dienst einer größeren Sache zu stellen, etwas wagen und im Augenblick des größten Risikos die Ruhe zu bewahren. Patricia Thielemann ist eine friedliche Kriegerin und ihre Waffen sind Klarheit, Konzentration und Güte. Wir haben gerade telefoniert. Es geht ihr gut. Sie möchte eine Stiftung gründen und so, wie wir sie kennen, wird ihr das auch gelingen.

Kristin Rübesamen
Kristin Rübesamen

Kristin Rübesamen ist zertifizierte Jivamukti- und Om-Yoga-Lehrerin. Sie hat über ein Jahrzehnt in New York und London gelebt und ihre Ausbildungen noch bei Sharon Gannon und David Life (Jivamukti) und Cyndi Lee (Om Yoga) persönlich gemacht. Als Yoga-Aktivistin, Chefredakteurin von YogaEasy und Yogalehrerin unterrichtet sie seit fast 20 Jahren einen sehr konzentrierten, gleichwohl herausfordernden Stil. Sie ist Autorin von „Alle sind erleuchtet” und „Das Yoga-ABC” .

Lars13.02.2018
Irgendwie hinterlässt mich dieser Artikel etwas verwirrt. Kristin Rübsamen ist eine tolle Autorin, ich lese Ihre Artikel immer sehr gerne. Es ist toll das Patricia Thielemann mit ihrer Erfahrung an die Öffentlichkeit gegangen ist und es braucht mehr Mut dies zu tuen als ich wahrscheinlich jemals hätte. Dieser Artikel dient natürlich in erster Linie dazu einer Kollegin den Rücken zu Stärken, auch das ist wichtig. Aber warum wird mit keinem Wort die beschämend umfangreiche Liste von Macht Missbräuchen und sexuellen Übergriffen durch Yogalehrer erwähnt? Es ist noch nicht so lange her das Rachel Brathen dazu aufgerufen hat solche Fälle ihr zu melden und sie wurde mit Fällen überschüttet. Wenn wir Yoga ernst nehmen, also die fünf Kleshas zum Beispiel, dann müssen wir diesem Mist eben auch ins Auge sehen und können das in einem solchen Artikel nicht unerwähnt lassen! Ich würde es gut finden wenn dieses Thema, das vielleicht für die Zukunft des Yoga entscheidend ist, auch hier, auf dieser Plattform offen thematisiert werden würde. Vielen Dank!
Barbara09.02.2018
Alle Achtung Frau Thielemann. Weiterhin viel Kraft und Erfolg.
Anne08.02.2018
Liebe Kristin Rübesamen, ich bin sicher, Sie wollten mit Ihrem Artikel genau das, was Sie schreiben: Mut machen, Frauen stärken, Ihrer Freundin zeigen, dass Sie für sie da sind und auch für sie kämpfen (so, wie Sie sich als Kriegerinnen sehen). Das ist schön, solidarisch und sicherlich gut gemeint. Aber auch bei mir kommt dieser Artikel etwas schräg an - und auch die stets betonte Bescheidenheit von Patricia Thielemann. Ich teile die Kritik an der Verknüpfung mit der Werbung für ihren "Yogastil", für ihre Bücher. Braucht es das? Yoga ist so vielseitig, so unglaublich individuell und sieht in Berlin-Charlottenburg ganz anders aus als auf dem Land zwischen Weinbergen. Aber ist das eine besser/wichtiger/echter als das andere? Und sind die Frauen, die in die Medien drängen, wirklich stärker, mutiger als die anderen, die es nicht tun? Jeder hat seinen Platz in der Welt und jeder hat die Chance an diesem Platz genau das zu tun, was notwendig ist. Und sehr oft geschieht es im Verborgenen oder als Selbstverständlichkeit im Alltag. Die Metoo - Debatte sehe ich als Frau sehr kritisch, es ist wichtig über all die kleinen und großen Übergriffe zu sprechen. Und es muss mehr darüber gesprochen werden! Aber nicht jede Frau, die sich nicht äußert, ist ein Feigling oder stimmt übergriffigen Männern zu. Es wird dabei viel zu leicht vergessen, dass es auch ganz, ganz viele Männer und Frauen gibt, die respektvoll miteinander umgehen, die achtsam mit ihrer Umwelt sind und das Leben bereichern - auch oder vielleicht gerade außerhalb der Yogamatte! Menschen, die Yoga praktizieren, nehmen für meinen Geschmack ein bisschen zu oft Eigenschaften und Ziele für sich in Anspruch, die zu einer "besseren Welt" beitragen. Ich fände es schön, wenn Yoga irgendwann wieder etwas leiser geschehen könnte: Jeder für sich, bei sich und mit Lehrern, die einfach nur Freude daran haben, das weitergeben zu können, was sie selbst fasziniert und ihnen täglich hilft, bei sich zu bleiben. Am liebsten ganz ohne Glamour - denn dann kann jeder Yogi und jede Yogini ihr eigenes Leuchten wahrnehmen, ganz unverstellt! Danke aber für diesen Artikel, denn er hat mich einmal mehr zum Nachdenken darüber gebracht, was Yoga eigentlich für mich persönlich bedeutet und ob ich mich überhaupt noch auf "meinem" Weg befinde, oder mich schon wieder ein bisschen verloren habe in diesem Labyrinth aus Anregungen, Angeboten, Idealen, To-Do-Listen, vermeintlichen No-Gos, Neuheiten und Wahrheiten ...
Brigitte08.02.2018
Brigitte Warum findet sich unter dem Artikel von Frau Rübesamen gleich die Werbung für "Spirit Yoga" ( Unternehmen von Frau Thielemann) und ein Querverweis auf ihre Bücher? Und was heißt: "Die beste Yoga-Lehrerin Europas"? Kennt man all die namenlosen anderen, die "qualifiziert" arbeiten? Hat Frau Thielemann etwa den Yoga erfunden? Die Yoga-Szene sprüht vor vermeintlichen Stars, die für viel Geld ihre workshops und Produkte verkaufen. Und jetzt: Warum outet sich Frau Thielemann nach so vielen Jahren als "Opfer"? Nebenbei: ich bin kein weiblicher Fan von Dieter Wedel, ganz im Gegenteil. Man kann als Frau, auch als junge, jederzeit solchen Männern entgegentreten. Zur Not tut es der Tritt mit dem Knie. Ich habe z.B. als zwanzigjährige Fahrschülerin meinen damaligen Fahrlehrer vor Gericht verklagt, weil er während der Fahrstunde übergriffig geworden ist. Und: ich war bei Gericht erfolgreich damit. Und ganz nebenbei: wer interessiert sich eigentlich für die vielen sexuellen (täglichen) Übergriffe in Familien. Sorry: Das hat natürlich keinen "Glamour" und liegt jenseits des "Filmsets".
Ute08.02.2018
Liebe Kristin, Glückwunsch zu diesem wichtigen Artikel, denn Rückenstärkung ist das, was jemand braucht, wenn er mutig vortritt - ohne es zu müssen. Die Welt braucht definitiv friedliche Kriegerinnen! LG Ute Freundl
Marie06.02.2018
Mich stört die Vorstellung, es könnte der Eindruck entstehen, Schweigen bedeutete Zustimmung. Daher, ohne ins Detail zu gehen und eine hier deplatzierte Diskussion noch weiter zu treiben: Ich bin anderer Meinung. Ich bin nicht einverstanden mit Patricia Thielemanns Verhalten damals und heute, nicht einverstanden mit Kristin Rübesamens Artikel und fast allen Punkten, die sie dort anspricht und nicht einverstanden, dass diese Metoo-Angelegenheit hier auf dieses Yogaportal getragen wird.
Stefanie05.02.2018
Danke für diesen Artikel, Kristin Rübesamen! Ich finde, dass auch aus Ihren Worten viel Stärke spricht. Und ich finde es großartig, dass Sie und Patricia Thielmann sich als Teil der Yoga-Community stark machen für mehr als nur starke Bauchmuskeln. Nichts gegen starke Bauchmuskeln, die finde ich auch prima. Ich meine zu spüren, das Yoga Teil sein kann von einer Veränderung unserer Gesellschaft und Welt (das klingt so groß, aber genau das passiert durch Auftritte wie diese), die eine tiefere Kraft erfordert, als Hass, Feindseligkeit und Machtmissbrauch. Danke fürs Kriegerinnen-Sein an Sie beide!