
Verkürzte Muskeln – wie sie entstehen und wie Yoga hilft
Verkürzte Muskeln – auf einen Blick:
- Einseitige Alltagsbewegungen wie langes Sitzen oder Stehen führen häufig zu verkürzten Muskelketten, was Verspannungen und Fehlhaltungen begünstigt – besonders in der vorderen, hinteren oder diagonalen Muskelkette.
- Typische Symptome betreffen den Iliopsoas, die ischiocrurale Muskulatur oder diagonale Faszienlinien – abhängig davon, ob jemand vorwiegend sitzt, steht oder sich einseitig dreht.
- Gezieltes Yoga, insbesondere Dehnübungen und Faszien-Yoga, kann die Muskelverkürzungen ausgleichen; empfohlen wird eine regelmäßige Praxis mit 3 bis 5 Einheiten pro Woche oder bei akuten Beschwerden sogar täglich.
Einseitige Haltungen und Tätigkeiten führen zu verkürzten Muskeln
Bist du Schreibtischtäter:in oder beruflich ständig auf den Beinen? Unser Alltag – ob geprägt von langem Sitzen oder viel Stehen – hinterlässt Spuren in unserem Körper. Denn die Haltungen und Bewegungen, die wir regelmäßig einnehmen, wirken sich direkt auf unsere Muskulatur und die Faszien aus.
Viele von uns setzen unseren Körper einseitigen Belastungen aus. Diehaben zur Folge, dass Muskelketten sich verspannen und so verkürzen und Fasziengewebe sich verfestigt. Eigentlich eine tolle Sache: Unser Körper passt sich an die immer gleichen Bewegungsmuster an, um uns zu unterstützen, uns Arbeit abzunehmen. Wenn die Positionen, in denen wir die meiste Zeit verbringen aber ungesund sind, führen die chronischen Fehlhaltungen den gesamten Körper in eine Asymmetrie und damit auch Dysbalance, die häufig zu Verspannungen oder Schmerzen führen.
Ein klassisches Beispiel: Wer viel sitzt und zusätzlich auf der Seite schläft, verbringt bis zu 22 Stunden täglich in einer gebeugten Hüfthaltung. Diese dauerhafte Position hält bestimmte Muskeln im verkürzten Zustand – ein häufiger Auslöser für Beschwerden und Fehlhaltungen.
Was ist ein verkürzter Muskel?
Die Länge von Muskelfasern kann sich je nach Belastung messbar verändern, das ist bewiesen. Wenn wir umgangssprachlich von einem verkürzten Muskel sprechen, meinen wir aber meistens das Phänomen, dass der Muskel in seiner Dehnfähigkeit eingeschränkt ist. Wenn ein Muskel also so verspannt ist oder das Fasziengewebe so verhärtet oder „verfilzt”, dass er sich nicht zu seinem ursprünglichen und normalen Maximum dehnen lässt.
Die gute Nachricht: Gezielte Bewegung, insbesondere Dehnungen und myofasziale Stimulation wie beim Faszien-Yoga kann diese Muster wieder auflösen.
Die häufigsten Muskelverkürzungen – und was du dagegen tun kannst
Je nachdem, wie du dich im Alltag bewegst – oder eben nicht –, sind bestimmte Muskelketten besonders anfällig für Verkürzungen und Verspannungen. Unsere Muskulatur ist in funktionelle Ketten organisiert, die in der Bewegung eng zusammenarbeiten. Wird eine dieser Ketten dauerhaft einseitig belastet, entstehen Spannungsungleichgewichte, die sich langfristig auf die gesamte Körperstatik auswirken können.
Im Folgenden schauen wir uns die drei wichtigsten Muskelketten an, die besonders häufig betroffen sind: die vordere Muskelkette, die hintere Muskelkette und die diagonalen Muskelketten. Zu jeder Kette findest du eine kurze anatomische Einordnung, typische Alltagsmuster, die zu Verkürzungen führen – und passende Yoga-Übungen, mit denen du gezielt Ausgleich schaffen kannst.
1. Verkürzungen in der vorderen Muskelkette
Die vordere Muskelkette ist für die Beugebewegungen und Stabilität an der Körpervorderseite verantwortlich. Sie ermöglicht Bewegungen wie das Nach-vorne-Beugen, das Aufrichten aus der Rückenlage sowie das Anheben der Beine.
Wichtige Muskeln der vorderen Muskelkette:
- Gerade und schräge Bauchmuskeln
- Brustmuskulatur (Pectoralis major und minor)
- Hüftbeuger (v. a. M. iliopsoas)
- Vordere Oberschenkelmuskulatur (Quadrizeps)
- Schienbeinmuskulatur (z. B. M. tibialis anterior)
Menschen, die sitzende Tätigkeiten ausführen, auch in ihrer Freizeit viel sitzen und dann noch in Embryonal-Stellung schlafen, haben meist eine verspannte vordere Muskelkette. Der Hüftbeuger (Iliopsoas) ist eine der wichtigsten Muskelgruppen in unserem Köper. Er beginnt am untersten Brustwirbel, setzt zusätzlich an den oberen vier Lendenwirbeln an und verbindet so die Brustwirbelsäule auf direktem Weg – durch das Becken – mit den Oberschenkelknochen. So ermöglicht diese Muskelgruppe dir, dein Bein zu heben und dich mit dem Oberkörper nach vorn zu beugen. Sobald dein Bein im rechten Winkel zu deinem Körper ist, befindet sich diese Muskelgruppe in der Anspannung und verkürzt sich. Im Stehen oder ausgestreckten Liegen ist der Muskel in die Länge gestreckt. Diese Wechselwirkung sorgt für eine gute Elastizität des Muskels.
Ein verkürzter beziehungsweise verspannter Iliopsoas ist der Klassiker bei Menschen, die viel am Schreibtisch sitzen. Das hat häufig Schmerzen im (vornehmlich unteren) Rücken zur Folge. Ist das dauerhaft der Fall, treten schnell Probleme auf: Langes Sitzen bringt den Hüftbeuger in ein einseitiges Bewegungsmuster, der Muskel gewöhnt sich an diesen Zustand. Soll er sich dann wieder strecken, ist das nicht mehr so einfach komplett möglich. Um die fehlende Dehnfähigeit des Muskels auszugleichen, zieht dieser die Wirbel, an denen er ansetzt, nach vorn, und der Rücken verfällt in ein Hohlkreuz. Langfrisitige Beschwerden können Bandscheibenvorfälle und Schmerzen in den Oberschenkeln, Hüfte und unterem Rücken sein.
Yoga-Übungen für eine verkürzte Körpervorderseite
1. Virabhadrasana I – der Krieger I
Annika Isterling zeigt dir in diesem Video, worauf es beim Krieger I ankommt:
2. Matsyasana – der Fisch
Mit Nicole Bongartz lernst du in diesem Video, wie du den Fisch richtig ausführst:
3. Kapotasana – die Taube
In diesem Video zeigt dir Barbra Noh, wie du die Taube richtig übst:
2. Verkürzungen in der hinteren Muskelkette
Die hintere Muskelkette stabilisiert die Wirbelsäule, richtet den Körper auf und ist für Streckbewegungen zuständig – z. B. das Heben aus der Vorbeuge oder den aufrechten Gang.
Wichtige Muskeln der hinteren Muskelkette:
- Rückenstrecker (Erector spinae)
- Gesäßmuskulatur (Gluteus maximus, medius)
- Beinbeuger (Ischiocrurale Muskulatur: Bizeps femoris etc.)
- Wadenmuskulatur (Gastrocnemius, Soleus)
- Fußsohlenmuskulatur (Plantarfaszie)
Menschen mit stehenden Berufen schlagen sich oft mit einer verspannten hinteren Muskelkette herum. Verspannungen manifestieren sich häufig im Gesäß. Allerdings gar nicht, wie vielleicht anzunehmen im Gluteus Maximus, sondern in den kleineren Muskeln, Gluteus Medius und Minimus – und besonders fies: der Piriformis. Dieser kleine birnenförmige Muskel kann für starke Schmerzen sorgen, weil er entlang des Ischiasnervs platziert ist und diesen bei Verspannung quetschen kann.
Den Oberschenkelrückseiten kommt ebenfalls eine zentrale Bedeutung zu, wenn es um die Position deines Beckens geht. Menschen in stehenden Berufen sind eher anfällig für eine verkürzte und verspannte hintere Muskelkette .
Oft manifestiert sich das in der ischiokruralen Muskulatur – also den Hamstrings. Die Ursachen für verkürzte Hamstrings sind wenig Bewegung, falsches Sitzen (wenn du nicht auf deinen Sitzbeinhöckern sitzt, sondern eher auf dem Steißbein, zwingst du deinen Rücken in eine Rundung, die auf Dauer der Belastung nicht standhält. Verkürzte Hamstrings sorgen dafür, dass das Becken in die „falsche Richtung kippt” und so auf Dauer belastend auf den unteren Rücken wirkt.
Yoga-Übungen für eine verkürzte Körperrückseite
1. Adho Mukha Svanasana – der herabschauende Hund
Lalla Turske zeigt dir in diesem Video, wie du den herabschauenden Hund richtig ausführst:
2. Uttanasana – stehende Vorbeuge
Isabel Djukanovic zeigt dir in diesem Video, wie du die stehende Vorbeuge richtig ausführst:
3. Halasana – der Pflug
Wanda Badwal führt dich in diesem Video in den Pflug:
3. Verkürzungen in der diagonalen Muskelkette
Diese Ketten verbinden gegenüberliegende Körperhälften diagonal über die Körpermitte. Sie sind besonders wichtig für Rotation, Stabilisierung und funktionelle Ganzkörperbewegungen wie Gehen, Drehen und Werfen.
Wichtige Muskeln (über Kreuz):
- Linker schräger Bauchmuskel + rechter Beinbeuger bzw. rechter schräger Bauchmuskel + linker Beinbeuger
- Rechter Latissimus dorsi + linker Gluteus maximus bzw. linker Latissimus dorsi + rechter Gluteus maximus
- Faszienlinien (z. B. die spirale myofasziale Linie)
Menschen, die etwa am Schreibtisch sitzen, dies aber im Kundenkontakt tun, haben häufig eine verkürzten querverlaufende Muskelkette. Der Monitor steht dann nicht frontal vor ihnen, sondern seitlich. So drehen drehen sie sich immer zu dieser Seite ein, um am Computer arbeiten zu können. Bei dieser Art von einseitiger Belastung werden die diagonal verlaufenden Muskelketten verspannt. Genauer gesagt wird eine Seite immer eher gedehnt, und die andere eher angespannt. Auch das ist im Endeffekt eine einseitige Belastung.
Yoga-Übungen für verkürzte Diagonale-Muskelketten
1. Ardha Matsyendrasana – Drehsitz
Marina Pagel erklärt dir in diesem Video, worauf du beim Drehsitz achten musst:
2. Parivrtta Trikonasana – das gedrehte Dreieck
Vilas Turske führt dich in diesem Video in das gedrehte Dreieck:
3. Parsvakonasana – Flankenstreckung
Lerne mit diesem Tutorial mit Marina Pagel, wie du Parsvakonasana richtig übst:
Wie oft sollte man Übungen gegen verkürzte Muskeln machen?
Um verkürzte Muskeln gezielt zu dehnen und langfristig geschmeidiger zu machen, ist Regelmäßigkeit entscheidend. Hier sind detaillierte Empfehlungen dazu, wie oft du Übungen gegen verkürzte Muskeln machen solltest:
Empfohlene Häufigkeit
- Mindestens 3 bis 5 Mal pro Woche: Das ist ein gutes Minimum, um eine Verbesserung zu erzielen. Je öfter, umso besser. Übe also lieber nur ein paar Minuten ganz entspannt regelmäßig als ein Mal pro Woche eine Stunde.
- Täglich bei starker Verkürzung oder muskulären Problemen: Bei bestehenden Dysbalancen, Schmerzen oder ausgeprägter Verkürzung (z. B. der Hüftbeuger durch viel Sitzen) ist tägliches, sanftes Dehnen ideal.
- Mehrmals täglich bei Bedarf: Wenn du z. B. viel sitzt oder einseitige Belastungen hast (wie bei Bürojobs oder Sportarten mit einseitigen Bewegungen), kann es sinnvoll sein, kurze Dehneinheiten (wenige Minuten) über den Tag zu verteilen.
Dauer und Art der Dehnübungen
- Statische Dehnung: 20–60 Sekunden pro Muskelgruppe halten, 2–3 Wiederholungen.
- Dynamisches Dehnen / Mobility: Als tägliche Bewegungspraxis, vor allem vor sportlicher Aktivität.
- Yin Yoga oder Faszien-Dehnung: 2–3 Mal pro Woche für tiefere, passive Dehnungen (3–5 Minuten pro Haltung).
Unsere Tipps für nachhaltigen Erfolg
- Geduld & Kontinuität: Verkürzte Muskeln entstehen meist über Jahre – gib dir mehrere Wochen oder Monate Zeit, um messbare Veränderungen zu spüren.
- Atmung und Achtsamkeit: Entspannung im Nervensystem hilft dem Muskel, loszulassen.
- Ausgleichende Kräftigung: Neben Dehnung ist es wichtig, Gegenspieler-Muskeln zu stärken (z. B. Bauchmuskeln, wenn der untere Rücken verkürzt ist).
Besonders mit Faszien-Yoga kannst du gute Resultate für verkürzte Muskelketten erzielen. Im Artikel zum Thema Faszien-Yoga erfährst du mehr darüber. Außerdem findest du bei YogaEasy auch viele Faszien-Yoga-Videos, mit denen du deine Verspannungen bearbeiten kannst.



