Alien Yoga
Bild: instagram.com/aubrymarie/

Alien Yoga

Von Kristin Rübesamen

Wo sind die Zeiten hin, als wir im Schlafanzug auf unseren Schaf-Fellen zur Schallplatte von Jethro Tull ein bisschen rumgerutscht sind? Als es noch keine Reformhäuser gab, aber schon Kinderläden, als Tante Annemarie für verrückt erklärt wurde, weil sie nur Körner aß und „Joga“ machte?

Heute turnen sexy Mädchen im Ganzkörper-Latexanzug so auf der Matte, dass man sich fragt, wie sie Brahmacharya, das Gebot der Enthaltsamkeit, interpretieren. Aufgeweckte Werber lassen Yogis in ihren Spots aufmarschieren, egal, ob es um Stromversorgung (Prana?) oder Mietwagen (Nadis?) geht und Yogis selbst zeigen soviel nackte Haut, dass sich Patanjali und Beate Uhse in ihren Gräbern umdrehen würden. Aber halt, wir wollen keine Spielverderber sein. Vielleicht ist ja am „Alien Yoga“ was dran.

Der neue Fitnesstrend auf Instagram heißt „Alien Yoga“.

Gemeint ist damit, dass superdünne Yoginis eine der klassischen Reinigungspraktiken des Hatha Yoga vorführen. Nicht etwa die, wo man sich einen Faden durch Nase und Mund zieht, ein wenig wie ein Verkehrsopfer aussieht und selbstverständlich auch nicht Basti, wobei man ein eingefettetes Darmrohr in den Enddarm einsaugt, sondern das eindeutig attraktivere Nauli.

Nauli als Waschmaschine

Nauli gehört zu den Shatkarmas, wird in der Hatha Yoga Pradipika beschrieben und ist eine feine Sache. Nauli üben wir im Stand, mit leicht gebeugten Knien und dem Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Nach der Ausatmung wird die Bauchdecke kräftig nach innen gezogen und der mittlere Bauchmuskelstrang wieder nach vorne gebracht und dann kreisförmig bewegt, mal rechts, mal links. (Ich stelle mir dabei gerne die Bewegung einer Waschtrommel vor und warte, bis sich Miele meldet)

Dünndarm und Bierbauch

Auch wenn wissenschaftlich nicht belegt werden kann, dass durch das Kreisen des mittleren Bauchmuskelstrangs tatsächlich der Dünndarm gereinigt werden kann und bei stetigem Üben verhindert wird, dass sich die Organe absenken: die Übung stimuliert die Verdauungsorgane, macht wach und bringt Aufmerksamkeit in eine Region, die man normalerweise nur als Bierbauch wahrnimmt. Trotzdem.

Der „neue Fitnesstrend" auf Instagram heißt „Alien Yoga“? Alles an diesem Satz nervt.

Jedenfalls diejenigen, die ihr Yoga nicht als Trend verstehen. Die am Yoga schätzen, dass es einen Gegenentwurf bietet zur Welt, in der die meisten von uns leben. Die Welt der Supermärkte und der Shoppingmalls, in der jede Bockwurst ein Event ist und jeder Wichtigtuer ein „Influencer“. In der es nur darum geht, wie man sich verkaufen kann. Vielleicht sind wir ein wenig naiv, aber uns reizt einfach die Vorstellung, dass wir im Yoga und auf der Matte dieser Welt zumindest für eine Zeitlang entkommen können. Yoga als Refugium, als Rückzug und Besinnung auf das Wesentliche, Yoga auch als Tankstelle, um Kraft zu tanken für das Leben: Yoga als Praxis für das Leben auf unserem Planeten. Auch wenn jetzt schon Tickets für den Mars versteigert werden.

Kristin Rübesamen
Kristin Rübesamen

Kristin Rübesamen ist zertifizierte Jivamukti- und Om-Yoga-Lehrerin. Sie hat über ein Jahrzehnt in New York und London gelebt und ihre Ausbildungen noch bei Sharon Gannon und David Life (Jivamukti) und Cyndi Lee (Om Yoga) persönlich gemacht. Als Yoga-Aktivistin, Chefredakteurin von YogaEasy und Yogalehrerin unterrichtet sie seit fast 20 Jahren einen sehr konzentrierten, gleichwohl herausfordernden Stil. Sie ist Autorin von „Alle sind erleuchtet” und „Das Yoga-ABC” .

Biggi02.07.2017
Da bin ich aber mal froh das sich mal Eine Traut auch mal Kritisch mit dem Trend Yoga zu kommentieren. Danke Und bei aller Toleranz verliert so mancher den Yogaweg
Thomas29.06.2017
Auch ich betrachte so manche "neuen" Errungenschaften mit gewissem Befremden. Oft schüttle ich den Kopf. Aber man sollte sich als überzeut pektizierende/r Yogini/Yogi da nicht aus der Ruhe bringen lassen. Mehr als 3500 Jahre hat Yoga bereits überstanden und im Laufe dieser Zeit gab es bestimmt bereits so einige merkwürdige "Bewegungen" und "Missbrauch" des Yogas. Ich z.B. finde es schon ärgerlich, wenn ich auf einer Visitenkarte oder einem Plakat eines Yogastudios "Yoga und Pilates" lese. Für mich ein k.o. Kriterium . In so etwas würde ich mich nie einschreiben. Ich kümmere mich aber nicht um solche Dinge. Letztendlich gibt es ausreichend gute Literatur, Studios und Videos (z.B. auch von yogaeasy.de) und Informationen, Diese komische Welle wird bestimmt wieder abebben. Dafür werden sich manche Menschen dann eben etwas Neues einfallen lassen. Manches davon kann eine sinnvolle Eränzung sein. Ich persönlich fine mein Yoga-Rad ganz praktisch. Ich denke dass man ganz gelassen darauf vertrauen kann, dass die "richtig" Interessierten sich nicht von so manchem Schmarrn verleiten lassen. Aber lustig amüsant finde ich so Manches schon. Danke für den tollen Artikel
Monika29.06.2017
Solange sich im Yoga nicht eine einseitige Schmalspursichtweise entwickelt, sondern für den Anwender immer noch nachvollziehbar und verständlich die Wirkungsweisen erkennbar und zu finden sind, ist es mir eigentlich egal, wie einzelne eine so umfassende Lehre für sich gebrauchen. Jeder Mensch durchläuft ja ständig Phasen und wer im Yoga-Outfit noch das Showprogramm und die Gymnastik absolviert, hat entweder schon alles erreicht oder erobert sich alles im Rahmen seiner Zeit. Mir hat Dein Artikel gefallen, weil er mir noch mal selbst verdeutlich, worum es mir persönlich geht. Danke
28.06.2017
Ich mag deine Artikel weil sie auch mal kritisch sind und nicht nur so fluffig-oberflächlich.weiter so!